Beschwerden der Analregion sind heute noch immer ein grosses Tabu. In den letzten Jahren sind verschiedene Tabus gefallen – so reden wir beispielsweise immer offener über unsere Sexualität. Sogar im Fernsehen wird immer öfters für Produkte geworben, die unser Liebesleben fantasievoller gestalten sollen. Auch Blasenschwäche ist längst kein Tabu mehr. Die Analregion ist jedoch noch immer eine der letzten Bastionen, die sich einer öffentlichen Diskussion entzieht. Warum ist das so?
Wenn es um das stille Örtchen geht, wird es bei uns ganz leise. Nur wenige getrauen sich, über ihre Beschwerden im Analbereich oder Ihre Sorgen mit dem Stuhlgang zu sprechen. Wir sprechen von einem «Tabu». Bei einem Tabu handelt es sich per Definition um ein «ungeschriebenes Gesetz, das aufgrund bestimmter Anschauungen innerhalb einer Gesellschaft verbietet, bestimmte Dinge zu tun» – oder eben halt über bestimmte Dinge zu sprechen. Warum die Analregion bzw. deren Beschwerden in einem solchen Mass mit einem Tabu belegt ist, kann nur spekuliert werden. Die Analregion gilt als «schmutzig» und «unrein» – wir haben bereits im Kleinkindesalter gelernt, dass eben dieses Schmutzige nicht sein darf – vor allem, wenn es uns selber betrifft. Es scheint, dass wir diese Ermahnungen von früher noch immer nicht verdaut haben. Frauen haben es im Speziellen schwer, über anale Beschwerden zu sprechen – dies mag damit zusammenhängen, dass die Gesellschaft namentlich von den weiblichen Vertretern «Reinlichkeit» erwartet. So kann erklärt werden, dass es Männer einfacher haben, in einem sozialen Umfeld zu furzen oder von «kacken» zu reden.
In unserem täglichen Vokabular ist das Anale aber trotzdem sehr gut vertreten – vor allem, wenn es um Fluchwörter geht. Gemäss Sandro Benini, Journalist des TagesAnzeigers, zeichnet sich die deutsche Sprache durch eine «Fäkalsprache» aus, wenn es ums Fluchen geht (TagesAnzeiger vom 17.1.2022: «Ich hab verkackt» – Warum ist das fürs Deutsche typisch?). Kaum eine andere Sprache sei beim Fluchen so fäkal geprägt, wie beim Fluchen, heisst es bei Sandro Benini. «Scheissfilm», etwas ist «beschissen», es «kackt» uns an, «du Arsch», etc. Fluchwörter werden erst dann zu Fluch- oder Schimpfwörtern, wenn sie ein tabu brechen. So gesehen passt das ja ganz gut zum analen Tabu. Bei Sandro Benini kann man auch lesen, dass viele früher als vulgär abgetane Wörter zwischenzeitlich akzeptiert sind. «Geil» war früher vulgär, heute gehört es zu unserem normalen Sprachgebrauch. In seinem Artikel liest man weiter, dass es «mehrere Studien gibt, die herzhaftem Fluchen eine positive Wirkung auf Körper und Seele bescheinigen». In diesem Sinne: lassen Sie uns mehr Fluchen – und mehr Tabus brechen, in der Hoffnung, dass auch das Sprechen über anale Beschwerden irgendwann normal wird.
Die letzten Monate waren in diesem Sinne positive Monate: Ein Interview mit mir in der Sonntagszeitung über Proktologie (SonntagsZeitung vom 25.6.22: «Der Anus ist ein Meisterwerk der Natur»), gefolgt von einem Bericht mit Interview des Schweizer Fernsehens (SRF Impact vom 18.8.22) haben die Analregion wieder etwas aus der Dunkelheit ans Licht geholt. Die Rückmeldungen waren allesamt positiv. Auch kamen sehr viele PatientInnen in meine Sprechstunde, die aufgrund dieser Beiträge nun Mut gefasst hätten, ihr Problem endlich anzusprechen. Je mehr wir in der Öffentlichkeit über Probleme der Analregion sprechen, umso mehr tragen wir dazu bei, das Thema zu enttabuisieren. Also, machen wir mehr Lärm, wenn es um das stille Örtchen geht!